C. Dejung: Die Fäden des globalen Marktes

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Titel
Die Fäden des globalen Marktes. Eine Sozial- und Kulturgeschichte des Welthandels am Beispiel der Handelsfirma Gebrüder Volkart 1851–1999


Autor(en)
Dejung, Christof
Erschienen
Köln 2013: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
516 S.
Preis
URL
von
Ines Prodöhl, German Historical Institute

Der Historiker Christof Dejung hat im vergangenen Jahr eine Studie vorgelegt, in der er mittels des schweizerischen Handelsunternehmens Gebrüder Volkart zentrale Aspekte der globalen wirtschaftlichen Vernetzung in der zweiten Hälfte des 19. und 20. Jahrhunderts aufzeigt. Die Firma Volkart entwickelte sich Ende des 19. Jahrhunderts zu einem der grössten Exporteure indischer Baumwolle und damit zu einem der wichtigsten Handelshäuser auf dem indischen Subkontinent. Im 20. Jahrhundert expandierte die Firma und wurde zu einer der bedeutendsten Baumwoll- und Kaffeehandelsfirmen der Welt und zu einem der umsatzstärksten Schweizer Unternehmen. Dejung schreibt die Sozialgeschichte des Unternehmens Volkart von der Gründungsphase und den ersten Aktivitäten in Bombay in den 1850er Jahren bis zum Ende der unterdessen multinationalen Handelsfirma 1999.

Dejung will anhand der Geschichte dieses Unternehmens die «soziokulturellen Prozesse beschreiben, die den ökonomischen Austausch im weltweiten Massstab begleiteten und oft erst ermöglichten» (S. 17). Dazu stellt er drei zentrale Thesen auf, nämlich zum einen, dass die Expansion der Weltwirtschaft massgeblich von persönlichen Interaktionen und Netzwerken geprägt war, zum anderen dass Welthandelsfirmen in den jeweiligen Gastländern auf leistungsfähige lokale Produktions- und Handelsnetze trafen, und schliesslich, dass die Generierung von Vertrauenskapitel und die Pflege langfristiger sozialer Beziehungen zentral für den geschäftlichen Erfolg einer Firma wie Volkart waren (S. 17). Diese Thesen mögen Wirtschaftshistoriker mit globalem Fokus nicht überraschen, sind sie doch generell etabliert und gerade auch mit Blick auf Handelsunternehmen bereits generiert worden.11 Was Dejung jedoch vermag, ist, anhand des Unternehmens Volkart die soziokulturellen Prozesse detailliert zu beschreiben, die mit marktwirtschaftlichem Handeln einhergehen.

Die Arbeit ist im Wesentlichen chronologisch gegliedert. Insbesondere die gelungene Einleitung vermag es, die Studie fest in die bestehende Forschungslandschaft zu Globalisierungsprozessen und Handelsunternehmen einzubetten, aber auch darüber hinaus sind die einzelnen Kapitel gut historiographisch verankert. Auf diese Weise vermag es der Autor, eine Mikrostudie mit zahlreichen Innenansichten auf die Firma zu schreiben, ohne sich in Einzelheiten zu verlieren bzw. die globale Perspektive aus dem Blick zu verlieren.

In einem ersten Teil beschreibt Dejung den Beitrag Volkarts zur europäischen Expansion bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Für die Handelsaktivitäten zwischen indischen Exporteuren und europäischen Importeuren wählt Dejung einen stark akteurszentrierten Zugang und betont die Bedeutung sozialer Netzwerke für den umfangreichen Warentransfer in dieser Zeit. Den Ersten Weltkrieg betrachtet Dejung in erster Linie als einen Wirtschaftskrieg und betont die Besonderheiten, die dieser für ein Schweizer Unternehmen mit sich brachte. Er arbeitet heraus, dass Volkart auf Grund der Preissteigerungen im Rohstoffbereich Rekordgewinne erzielen konnte (Kap. 4). Aufschlussreich sind die Ausführungen zur Gründung Schweizer Konsulate in Asien, die mit Handelsvertretern wie den Angestellten Volkarts besetzt wurden. Dieses Vorgehen war keineswegs einzigartig und für beide Seiten lukrativ und es zeigt den engen Zusammenhang von Staat, Wirtschaft und Expertise.

Im zweiten Teil widmet sich Dejung in einer Mikroperspektive dem Unternehmen selbst und analysiert dessen innere Struktur, von der Familie der Firmenbesitzer bis zu den Managern und Angestellten in Europa und Asien. Die Teilhaber stammten bis auf wenige Ausnahmen stets aus den Winterthurer Kaufmannsfamilien Volkart und Reinhart. Sie waren nicht nur Besitzer des Unternehmens, sondern übten auch die operative Leitung aus. Darüber hinaus nahmen sie eine reichlich paternalistische Haltung gegenüber ihren leitenden Angestellten ein, da sie deren Sozialleben engmaschig überwachten.

Im dritten Teil konzentriert sich Dejung auf die Zwischenkriegszeit bis nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Auch er beschreibt die Zwischenkriegszeit als eine Phase der Ent-Europäisierung globaler wirtschaftlicher Kontakte und weniger als eine der De-Globalisierung. So verlagerten sich Produktionsstätten und Umschlagplätze von Europa nach Asien und Amerika und auch an diesem Transformationsprozess nahm Volkart teil. Gleichzeitig fand bei Volkart ein verbaler Rückbezug auf die nationalen Ursprünge der Firma statt. So betonte Volkart nach 1918 die Swissness des zu diesem Zeitpunkt notabene mit Hauptsitz in London gemeldeten Unternehmens.

Im vierten und letzten Teil der Studie widmet sich Dejung den Auswirkungen der Dekolonialisierung auf globale Handelsbeziehungen allgemein sowie die Geschäfte des Unternehmens im Besonderen. Er beschreibt die zunehmende Einflussnahme nationaler Regierungen auf den Rohstoffhandel als eine Phase vermehrter Regulierung und Politisierung. Ausserdem verdeutlicht er bezüglich der Handelshäuser einen scharfen Konzentrationsprozess, so dass der globale Rohstoffhandel gegen Ende des 20. Jahrhunderts lediglich von einer Handvoll multinationaler Firmen abgewickelt wurde.

Dejung legte damit eine anregende Mikrostudie über die sozioökonomischen Zusammenhänge einer global tätigen Handelsfirma vor. Insbesondere die Details zu den Unternehmenspraktiken auf dem indischen Subkontinent zwischen Mitte des 19. und Mitte des 20. Jahrhunderts werfen ein aufschlussreiches Licht auf die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Indien und Europa sowie auf deren Brüche, Kontinuitäten und Wandlungen.

1 Vgl. etwa Geoffrey Jones, Merchants to Multinationals. British Trading Companies in the Nineteenth and Twentieth Centuries, Oxford/New York 2000; Alfred D. Chandler, Bruce Mazlish (Hg.), Leviathans. Multinational Corporations and the New Global History, Cambridge (MA) 2005; Harold James, Familienunternehmen in Europa. Haniel, Wendel und Falck, München 2005.

Zitierweise:
Ines Prodöhl: Rezension zu: Christof Dejung, Die Fäden des globalen Marktes. Eine Sozial- und Kulturgeschichte des Welthandels am Beispiel der Handelsfirma Gebrüder Volkart 1851–1999, Köln/Weimar/Wien: Böhlau Verlag, 2013. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 3, 2014, S. 511-512.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 3, 2014, S. 511-512.

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